Sexuelle Gewalt gegenüber behinderten Frauen und Kindern


Referentin Simone Seitz, Frauennotruf Regensburg

 

Sie zeichnet ein düsteres Bild, unsere Referentin. Die Täter sind überall und behinderte Kinder besonders gefährdet.

Simone Seitz stellt sich als Sozialarbeiterin des Frauennotruf Regensburg vor. Seit 37 Jahren haben von Gewalt bedrohte Frauen und Mädchen hier eine Anlaufstelle. Die Beratungsstelle arbeitet kostenlos, anonym und unterliegt der Schweigepflicht.

 

Ob es um aktuelle sexuelle Gewalt geht, um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, um Vergewaltigung oder um sexuellen Missbrauch der weit zurück liegt in der Kindheit, die Beratungsstelle ist offen für alle Anliegen

 

Was ist sexuelle Gewalt? Gestartet wird ein kurzer Infofilm. Violetta – Missbrauch erklärt in leichter Sprache. Da geht es um Geheimnisse, um schlechte Geheimnisse. Um Belohnung, um Drohung.

 

Zahlen: Sexualisierte Gewalt geschieht meistens nicht aus Lust. Nur 5 % der Täter sind ernsthaft pädophil, der Rest agiert aus anderen Gründen, Motive sind Macht, Stärke, Überlegenheit, Manipulation.

 

 

Formen der sexuellen Gewalt  „Hands off“ oder „Hands on“

 

unterscheidet zwischen Aktionen ohne Berührung (Hands off) oder mit Berührung (Hands on).

 

Beispiele für „Hands off“ sind Aktionen wie verbale sexuelle Anzüglichkeiten, masturbieren vor dem Opfer, sich exhibitionieren, gezielt pornografische Darstellungen zeigen oder die Aufforderung, sexuelle Handlungen an sich selbst – z.B. auch vor einer Kamera – vorzunehmen.

 

Beispiele für „Hands on“ sind sexuelle Handlungen am Körper des Opfers.

 

Zahlen: jedes 5 – 6 Mädchen und jeder 8 – 10 Junger erfährt wenigstens einmal im Leben sexuelle Gewalt.

 

90 % der Kinder kennen den Täter. 80 % der Frauen kennen den Täter.

Fremdtätet treten eher selten auf.

 

Rett-Mädchen haben eine hohe Wahrscheinlichkeit dass der Täter in ihrem Umfeld auftritt. Mitarbeiter in Einrichtungen, Ehrenamtliche Helfer, Busfahrer, Betreuer, Therapeuten, Ärzte. Die Täter sind in allen sozialen Schichten und Berufen zu finden.

 

Welche Kinder sind besonders gefährdet?

 

  • Emotional vernachlässigte Kinder
  • Wohlstandswaisen (Kinder die mit materiellen Gegenständen überhäuft werden statt Aufmerksamkeit zu erhalten)
  • Kinder aus gewalttätigem Familienklima
  • Traditionell erzogene Kinder denen eingebläut wurde „Erwachsenen widerspricht man nicht“
  • Kinder die nicht aufgeklärt wurden, Kinder denen ihre kindliche Sexualität verboten wurde.
  • Kinder die in einem grenzenlosen offenen Raum aufwachsen, in Familien oder Lebensgemeinschaften ohne Abgrenzung, die keine Scham kennen, die alles offen vorleben, Sex der Erwachsenen vor den Kindern usw.

 

  • Behinderte Kinder !!  
    Zahlen: behinderte Kinder haben ein 4fach höheres Risiko sexuellem Missbrauch ausgesetzt zu sein als nicht behinderte Kinder
    denn:
    Behinderte Kinder leben in großer Abhängigkeit von anderen Menschen und erleben das Fehlen von Scham bereits von Anfang an. Sie sind es gewöhnt gewickelt, gewaschen, intim berührt zu werden von vielen verschiedenen Menschen und nicht nur hinter verschlossener Tür.
    Behinderte Kinder haben eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten.
    Behinderte Kinder haben eine fehlende Sexualerziehung und oft keine sexuelle Identität.
    Behinderte Kinder genießen kaum Glaubwürdigkeit, wenn sie versuchen würden Missstände mitzuteilen.
    Die Täter wissen um all diese Schwachpunkte.
    Behinderte Kinder sind potentielle Opfer Nummer 1!

 

Umgang mit Gefahren und Anzeichen

 

Sexuelle Themen, Bilder, Videos sind in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten sehr präsent geworden. Mit dem Internet und den Handys werden Kinder bereits früh überflutet und das ist sehr schwer bis gar nicht mehr zu kontrollieren.

 

Einmal Täter, immer Täter. Sexuelle Täter sind ein Leben lang aktiv. Sexueller Missbrauch zieht sich oft durch ganze Familien und Generationen. Die Täter planen bewusst den sexuellen Missbrauch, sie haben Strategien.

 

Sie bauen Vertrauen auf gegenüber den Kindern und deren Eltern, schleichen sich in Familien, nutzen Abhängigkeitsverhältnisse aus, bauen Bindungen auf.

Sie stellen die Geheimhaltung sicher durch Druck und Drohung.

 

Geistig behinderte Kinder und Frauen können sich nicht selbst helfen und nicht selbst daraus befreien.

 

Zahlen: Kinder wenden sich im Durchschnitt 7 mal an einen Erwachsenen bevor sie Hilfe erfahren. Hilferufe von Kindern sind oft verschlüsselt, sie zeigen Verhaltensauffälligkeiten, sie malen Bilder, sie machen Rollenspiele.

 

Eltern sollten sofort reagieren wenn ihnen etwas auffällt.  Sie sollten das Kind direkt ansprechen, Sicherheit vermitteln, fragen wo der Schuh drückt, dem Kind Glauben schenken. Sie sollten in der Schule, im Kindergarten, in der Einrichtung nachhaken.

 

Es gibt wenig Anhaltspunkte die spezifisch auf Missbrauch hindeuten.

Berichte und Erfahrungen aus der Praxis mit geistig behinderten haben gezeigt:

 

Es könnten Stereotypien auftreten bzw. sich verstärken

Das Kind könnte plötzlich Abneigungen entwickeln gegen bestimmte Personen, Situationen oder Orte

 

Das können zarte Hinweise auf sexuellen Missbrauch sein, aber beim Rett-Syndrom, stellt gleich ein Vater klar, haben wir ja immer mit Stereotypien zu tun und Abwehr gegen alltägliche Pflege wie Haare kämmen oder Zähne putzen tritt auch sehr häufig auf, wie ein anderer Vater ergänzt.

 

Eine Mutter möchte wissen ob unsere Kinder es eigentlich merken würden wenn sie sexuell missbraucht würden? Denken wir an die „Hands off“ Handlungen ohne Berührung, eine gute Frage. Simone Seitz hat dazu eine klare Meinung, ja man muss immer davon ausgehen dass ein Kind merkt wenn etwas nicht in Ordnung ist. Dass Unterschiede registriert werden, am Verhalten des Täters der weiß dass er etwas Verbotenes tut, es wird dem Kind in irgendeiner Weise klar werden dass hier etwas nicht stimmt und nicht richtig ist.

 

Natürlich kann es auch konkrete Beweise für sexuellen Missbrauch geben, die aber eher selten zutreffen. Die Täter wissen das meist zu verhindern.

Beweise wären:

  • Verletzungen
  • zufällige Beobachtungen (den Täter in flagranti ertappen)
  • Geschlechtskrankheiten
  • Schwangerschaft
  • Bildmaterial taucht auch

 

Da man die Täter nicht erkennt ist Prävention so besonders wichtig.

 

Einrichtungen können ihre Mitarbeiter schulen, leider tun das längst nicht alle. Große Einrichtungen fangen langsam damit an, Schutzkonzepte zu erarbeiten. Das Thema sollte präsent gemacht werden und allgegenwärtig sein.

 

In einem Fallbeispiel vergewaltigt ein Mitbewohner eine 18jährige mit Downsyndrom. Die Einrichtung hatte keinen Verfahrensplan parat wie auf diesen Vorfall zu reagieren ist. Stattdessen wurde er unter den Tisch gekehrt, die Eltern des Mädchens verspätet und eher zufällig informiert. Simone Seitz kritisiert das massiv.

 

Eine Einrichtung für behinderte Menschen tritt als Schutzraum auf, aber wird das auch gelebt? fragt Simone Seitz. Wissen die Bewohner dass sie auch Rechte haben?

 

Betroffenheit und Verunsicherung unter den anwesenden Eltern.

 

Simone Seitz betont dass sie uns keine Angst machen will, sensibilisieren möchte sie uns. Dann trotz der schwierigen Ausgangslage müssen wir, Eltern und insbesondere Eltern schwer behinderter Kinder, Vertrauen aufbringen. In Mitmenschen und Einrichtungen. Und dieses Vertrauen ist wichtig, betont Simone Seitz. Und meistens auch gerechtfertigt, denn Menschen die in soziale, pflegende, pädagogische, therapeutische Berufe gehen sind meistens gute, hilfsbereite Menschen mit hoher Motivation. Also nicht verzweifeln, sondern Forderungen stellen an die Einrichtungen. So wie wir gesunde Ernährung und aktive Freizeitgestaltung erwarten, sollten wir auch Schutzkonzepte einfordern. Prävention fordern! Scheuen wir uns nicht nachzufragen, anzusprechen, Fragen zu stellen um hoffentlich Antworten zu bekommen.

 

Ernstfall

 

Und wenn es passiert ist, wenn wir herausgefunden haben dass unser Kind sexuell missbraucht wird, wir einen allgemeinen oder konkret begründeten Verdacht oder sogar Beweis haben, was dann?

 

Sollen wir losrennen, den Täter zur Rede stellen, Polizei und Staatsanwalt aktivieren oder sogar Selbstjustiz üben?

 

Nein, so schwer das auch sein mag, erst mal Ruhe bewahren. Nicht im Affekt handeln.

Empfohlene Vorgehensweise:

  • Ruhe bewahren
  • Kind schützen, Kind ernst nehmen, für das Kind da sein, Schuld nehmen falls nötig, Sicherheit geben. Aus der Situation nehmen falls nötig.
  • Nichts überstürzen.
  • Sich Unterstützung holen, z. B. Beratungsstellen.
  • Das Gespräch mit der Einrichtung suchen. In einem konkreten Verdachtsfall würde der verdächtige Mitarbeiter beurlaubt. Ist der Täter nicht bekannt vorsichtig eingrenzen, Zeiträume, personelle Veränderungen im Zusammenhang mit Verhaltensänderungen des Kindes usw. Ggf. das Kind einige Tage zuhause lassen bis zur Klärung. Aber dann bald wieder die Normalität herstellen für das Kind.

Wir wünschten uns feste Ansprechpartner in den Einrichtungen für solche Fälle.

 

Dokumentieren! Sehr wichtig. Alles was Verhalten des Kindes, körperliche Zeichen beim Kind, Aussagen des Kindes, Gespräche mit der Einrichtung, Abläufe bzgl. der Klärung betrifft, notieren und dokumentieren.

 

Eine Anzeige umsichtig vorbereiten führt eher ans Ziel, als wenn eine Anklage später fallen gelassen wird wegen lückenhafter Beweisführung. Anzeigen wegen sexueller Gewalt sind immer Offizialdelikte und der Staatsanwalt ist zuständig. Hier kann nichts zurückgenommen werden. Auch muss die eigene psychische Verfassung stabil genug sein das Verfahren auszuhalten, oft geht es über lange Zeiträume.

Die Beratungsstelle kann unterstützen durch gute Vorbereitung, Aufklärung, beispielsweise das Recht auf Nebenklage. Oder Vermittlung einer Anwältin.

 

Ein hochemotionales Thema. Besonders für Eltern behinderter Kinder.

Das Bewusstsein der Gefahr ist wichtig, es soll nicht zur Panik führen, sondern zu Achtsamkeit. Um präventiv zu agieren und im Notfall gezielt helfen zu können.

Präventionsbausteine

 

  • Das Selbstbewusstsein des Kindes stärken. Von Anfang an und zeit seines Lebens. Ab dem Lebensalter von 8 – 9 Jahren kann das Thema sexuelle Gewalt thematisiert werden.
  • Das Kind soll lernen: mein Körper gehört mir.
  • Dem Kind sollen alle Teile seines Körpers vertraut sein, die Geschlechtsteile genauso wie Arme und Beine mit Namen benennen bei den alltäglichen Pflegeroutinen.
  • Ich traue meinem Gefühl. Gespräche über gute und schlechte Gefühle mit dem Kind führen.
  • Gute und schlechte Berührungen. Gespräche über gute und schlechte Berührungen mit dem Kind führen. Wie fühlt es sich an wenn die Mama mich in den Arm nimmt, wie fühlt es sich an wenn ein Fremder mich an sich zieht und ich das nicht will.
  • Über gute und schlechte Geheimnisse sprechen, gemeinsam Beispiele erarbeiten.
  • Intimsphäre und Würde des Kindes sicherstellen.
  • Respektieren wenn mein Kind Berührungen ablehnt, fremden Menschen nicht erlauben übergriffig zu werden.
  • Das Kind soll erfahren dass es nein sagen darf und sein Nein akzeptiert wird.
  • Dem Kind vermitteln dass es ein Recht auf Hilfe hat. Hilfe holen ist kein Petzen!

 

Simone Seite geht auf Fragen der Eltern ein:

  • Unangenehme Pflegesituationen, die einen deutlichen Eingriff in die Intimsphäre erfordern und vom Kind oft verweigert werden verbal mit Verständnis begleiten, offen damit umgehen, berechenbar handeln.
  • Distanzminderung beim Kind unterbinden. Klare Grenzen ziehen. Eine Situation beenden z. B. wenn sich unsere Tochter auf den Schoss eines Fremden gesetzt hat. Alternativen anbieten, sie kann sich daneben setzen. Mein Handeln mit Worten begleiten.

Weiterführende Links und Literatur

 

Rotkäppchen wie geht es dir? Ein Buch für Eltern von Kindern in traumatisierender Situation. Wie kann ich meinem Kind in einer belastenden Situation beistehen, es schützen, da sein, Farben zurück bringen in seine graue Welt, mein Kind unbeschadet aus dem Trauma führen.

 

www.benundstella.de: Aufklärungsseite für Kinder und Erwachsene über sexuelle Gewalt gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

 

Notrufnummern, Anlaufstellen, Beratung und Hilfe für Frauen in Not sind gesammelt unter

https://frauennotruf-regensburg.de/hilfreiche-links/

 

Zum Beispiel das   

Hilfetelefon „Gewalt an Frauen“: 08000 – 11 60 16

www.hilfetelefon.de

 

Kostenlose, anonyme, bundesweite telefonische Beratung, rund um die Uhr erreichbar.

Literaturliste

 

Bilderbücher

  • Van Hout, Mies: Heute bin ich
  • Cali, Davide und Bougaeva, Sonja: Wanda Walfisch
  • Löffel, Heike und Manske, Christa: Ein Dino zeigt Gefühle
  • Lobe, Mira und Weigel, Susi: Das kleine Ich bin Ich
  • Kaiser, Susanne und Schüßlbauer, Renate: Anna ist richtig wichtig
  • Kulot, Daniela: Ein kleines Krokodil mit ziemlich viel Gefühl
  • Enders, Ursula und Boehme, Ulfert: Sooooo viele Kinder
  • Meier, Kathrin und Bley Anette: Das kummervolle Kuscheltier
  • Amyna: Pelin und Paul. Ein Buch über Mädchen und Jungen, den Körper und mehr
  • Wolters, Dorothea und Braun, Gisela: Das große und das kleine Nein!
  • Fobians, Clemens und Zels, Mirjam: Soll ich es sagen? Eine Geschichte über Geheimnisse
  • Bright, Rachel und Field, Jim: Der Löwe in Dir
  • Schreiber-Wicke Edith: Der Neinrich
  • Gliemann, Claudia und Lukk-Toompere, Regina: Rotkäppchen, wie geht es dir?

 

Bücher für Jugendliche

  • Von der Gathen, Katharina: Klär mich auf. 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema
  • Schäufler, Nicole: Vom Mädchen zur Frau – ein Mädchenhaftes Bilderbuch für alle, die ihren Körper neu entdecken

Internetseiten

 

April 2022, Herta Wechselberger

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