„Wie fang ich nur an?“, das war vor einem halben Jahr für mich die wichtigste Frage. Viele gute Anregungen habe ich dann von Angelika Koch bekommen. Sie hat mir ganz ausführlich im Forum geantwortet und auch in ihrem Buch „Nicht ohne Sprache“ fand ich viele Anregungen. Dennoch fehlte mir der entscheidende Anfangspunkt. Schließlich habe ich einen Termin bei der ELECOK Beratungsstelle in Altdorf wahrgenommen. Zunächst bin ich mit etwas gemischten Gefühlen dorthin gefahren: Was wird von meinem kleinen Mädchen erwartet? Zeigt sie überhaupt Reaktionen? Was wird von mir erwartet? Kennt der Mann sich aus? Und dann wurde ich sehr positiv überrascht. Herr Hornicek ist ein sehr erfahrener Sonderpädagoge, dem ich nicht viel von meiner „besonderen“ Situation (Mutter eines Rett – Mädchens und Sonderpädagogin) erzählen musste. Die Atmosphäre zwischen ihm, Marlene und mir war sofort stimmig. Er ließ sich zunächst zeigen, womit Marlene zurzeit am liebsten spielt und hat mit mir ausführlich über ihre Vorlieben gesprochen. Er schloss dann eine Lichterkette an einen Taster an, und Marlene hat nach sehr kurzer Zeit den Zusammenhang: „Taster drücken = Lichter an“ verstanden. Wir waren begeistert, und ich noch mächtig stolz dazu. Marlene grinste über alle Backen und zeigte, dass sie mehr spielen möchte. Mit einer kurzen Pause hat sie dann zwei Stunden verschiedene Spielsachen ausprobiert: eine Kullerbahn, einen Kassettenrecorder, ein Melodiespielzeug, einen tanzenden Hamster…
Wir konnten sehr gut beobachten, dass eine passenden Sitzhaltung und die Fixierung eines Armes sehr wichtig für Marlene sind. Ohne Fixierung benötigt sie sehr große Anstrengung, um die gezielte Handbewegung (auf den Taster drücken) ausführen zu können.
Anschließend haben wir Marlenes Reaktionen ausführlich besprochen und Herr Horniceck hat mir noch viele gute (Spiel) Ideen gezeigt, die man mit Hilfe der Taster umsetzen kann. Besonders gut hat mir der Ansatz gefallen, dass gerade sehr stark beeinträchtigte Kinder zunächst Spielmöglichkeiten brauchen; Spiele, bei denen der Spaßfaktor im Vordergrund steht und so ganz nebenbei doch auch eine grundlegende Förderung stattfindet. Eine Förderung, die Integration beim Spiel mit Geschwistern ermöglicht und auch kurzzeitige Beschäftigung ohne direkten Kontakt. So können diese besonderen Kinder lernen, selbständig zu spielen und eine Auswahl zu treffen, die wiederum ein Stück mehr Selbstbestimmung bedeutet.
Mit vielen guten Ideen und einer Liste für die notwendigen Kommunikationshilfsmittel (Taster, Batterieunterbrecher, Power Link, Computeradapter, Software) bin ich dann nach Hause gefahren. Leider hat dann unser Kampf mit der Krankenkasse begonnen…
Da ich nicht auf Taster etc. warten wollte, habe ich nach einem Weg gesucht, der das Spielen und Arbeiten mit den Hilfsmitteln vorbereitet. Dabei fiel mir eines Tages auf, dass Marlene beim Betrachten eines sehr einfachen Bilderbuches (ein Bild pro Seite) ganz eindeutig auf die Abbildung einer Babyflasche schlug und dabei protestierte. Schnell habe ich begriffen, dass sie die Flasche erkennt und ihre Flasche haben möchte, weil sie trinken möchte. Daraufhin habe ich ihre Flasche fotografiert und das Bild auf den Esstisch geklebt. Ich habe sie dann immer aufgefordert, die Flasche zu suchen und darauf zu klopfen. Das Klopfen habe ich dann immer kommentiert „Ich hab’ Durst!“. Mit der Zeit hat sich aus der Sprachmelodie ein Dreierrhythmus beim Klopfen ergeben. Anfangs habe ich ihre Hand immer wieder geführt, aber sie hat das zunehmend selbst übernommen. Das Flaschenbild habe ich auch als Karte laminiert und somit immer griffbereit, wenn wir im Wohnzimmer, Kinderzimmer… spielen oder unterwegs sind. Immer wenn Marlene nach der Karte greift, ist das für mich das Signal, dass sie etwas trinken möchte. Die Karte hat nur den großen Nachteil, dass sie stumm ist. Also muss man immer direkten Blickkontakt zu Marlene haben, um zu sehen, ob sie auf die Karte klopft, oder sie ganz angestrengt fixiert. Deshalb haben wir uns schnell dazu entschlossen, auch ohne Krankenkassenzusage, einen Big mack, der eine Sprachausgabe hat, und einen Taster mit Batterieunterbrecher zu besorgen. Als der große, gelbe Big mack nun endlich geliefert wurde, habe ich Marlene gezeigt, dass ich nun ihre Karte vom Tisch wegnehme und auf den Taster (den ich natürlich vorher besprochen hatte) klebe. Ich erklärte ihr, dass sie nun auf den Taster drücken soll, wenn sie etwas trinken möchte. Sie hat das sofort verstanden, und vor Freude gestrahlt, als meine Stimme aus dem Apparat ertönte.
Von nun an war es aus mit der Ruhe. Marlene fand es anfangs natürlich ganz toll, uns ständig aufzufordern, ihr etwas zu trinken zu geben (und der große Bruder natürlich auch), aber das hat sich wieder etwas gebessert. Jetzt bedient sie den Taster ganz selbstverständlich und betätigt ihn auch auf Anfrage („Marlene, hast du Durst? Marlene, möchtest du etwas trinken?“).
Da ich bei der Kommunikation den Spiel- und Spaßfaktor auf keinen Fall vernachlässigen möchte, bin ich immer auf der Suche nach Möglichkeiten, den Taster zum Spielen einzusetzen. Dabei bin ich auf die Idee gestoßen, ihn bei einem Würfelspiel einzusetzen, das ich mit meinem Sohn Julius schon seit längerer Zeit spiele. Es heißt „Flinke Flitzer“ von der Firma Haba. Je nachdem, welche Farbe gewürfelt wird, muss ein entsprechend farbiges Auto von einer Kreuzung zu einem Parkplatz gefahren werden. Diese Autofahrt wird natürlich von Julius und mir immer mit lautem „Brumm Brumm“ und „Reifenquietschen“ kommentiert. Beim Spielen kam mir dann die Idee, dass ich diese Fahrgeräusche mit dem Big mack aufnehmen kann, und Marlene durch Tastendruck ihr Auto „in die Garage“ fahren kann. Im Spiel würfele ich dann gemeinsam mit ihr, fahre das entsprechende Auto von der Kreuzung, und fordere sie dann auf weiterzufahren. Sie schlägt dann auf den Taster, auf dem ein Auto abgebildet ist, erzeugt das Fahrgeräusch, und ich helfe ihr dann, die richtige Garage zu finden.
Eine weitere Idee ist das gemeinsame Vorlesen. Es gibt viele Bilderbücher, in denen sich Sätze wiederholen (zum Beispiel: Eric Carle, Die kleine Maus sucht einen Freund). Diese Wiederholungen kann man auf den Big mack sprechen und dann das Mädchen mit dem Taster vorlesen lassen. Marlene und Julius lesen zurzeit “Die kleine Maus sucht einen Freund“; dabei übernimmt der große Bruder die verschiedenen Tiere und Marlene klopft auf den Taster, auf dem die kleine Maus abgebildet ist. Bei den ersten Seiten braucht sie oft noch Unterstützung, gegen Ende des Buches kann sie es meist alleine. Auch hier ist es immer wichtig, dass man einen Arm fixiert und ihr Zeit für die Reaktion lässt (was mit Geschwistern nicht immer ganz einfach ist).
Marlene wählt ein Buch aus
Buch mit Symbolkarte Maus
Bigmack mit Symbolkarte Maus
Buch mit Symbolkarte Affe
Bigmack mit Symbolkarte Affe
Marlene liest:
"Die kleine Maus
sucht einen Freund"
Der Taster ohne Sprachausgabe ist für Marlene ein ausschließliches Spielgerät. Wir haben einen kleinen Hund daran angeschlossen, der bellt und läuft (leider macht er auch einen Salto, bei dem er sich meistens im Kabel verheddert und dann auf dem Rücken landet – was Marlene dann wieder mit Gemaule kommentiert und einer springen muss, um dem Tier auf die Beine zu helfen…). Da wir noch keinen Power Link haben, sind die Spielmöglichkeiten noch sehr beschränkt, aber das wird sich bald ändern…
Ich habe noch viele Ideen, die ich Schritt für Schritt mit Marlene umsetzen möchte. Zum einen ist es mir wichtig, dass sie noch sicherer zeigen kann, durch Klopfen, genaues Fixieren, dass sie eine Frage verstanden hat. Zum anderen soll sie lernen, dass sie durch die Taster ihre Bedürfnisse ausdrücken kann. Marlene erhält seit Kurzem Frühförderung durch die Frühförderstelle für Sehbehinderte und Blinde, bei der die Sehentwicklung und gerade auch das Fixieren im Mittelpunkt stehen.
Als nächstes werde ich die Bilder/Symbole erweitern und dann versuchen Marlene eine Auswahl anzubieten, um schließlich zu den Symbolen für Ja und Nein zu kommen.
Und dabei immer wieder ganz viel SPIELEN und SPAß!
"Gut gemacht, mein Engel!"
Wir haben noch einen langen Weg vor uns, auf den ich mich freue, weil Marlene mir schon so viel Wunderbares am Wegesrand gezeigt hat, und mir damit unendlich viel Freude bereitet; und wir haben alle Zeit der Welt. Mit diesen guten Vorsätzen müsste es doch klappen!
Bücher, die sich gut zum Vorlesen mit dem Big mack eignen:
Besonders gut sind die kleineren Bücher, die aus fester Pappe sind!
Christiane Dieckmann, 2005